Strikt posteriorer Infarkt

Strikt posteriore Infarkte sind oft eine Herausforderung. Obgleich in der Regel durch einen akuten Verschluss meist der Cx verursacht, erfüllen ihre EKG mit den charakteristischen ST-Senkungen in V1-3 die STEMI-Kriterien der Leitlinien nicht. Sie gehören zu den am häufigsten „übersehenen“ OMI (Occlusive Myocardial Infarction), die von einer Akutintervention (mutmaßlich) profitieren würden. Was nicht unerheblich ist, wenn geschätzte 8 % aller OMI strikt posterior lokalisiert sind.

Andererseits aber sind >75 % der ST-Senkungen in den Brustwandableitungen bei akutem Thoraxschmerz nicht durch einen Koronarverschluss verursacht (NOMI oder Non-occlusive Myocardial Infarction). Diese Patienten profitieren von einer notfallmäßigen Angiografie nicht, können aber möglicherweise Schaden nehmen. Was tun, um bei einem solchen EKG zwischen OMI und NOMI zu differenzieren?
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EKG-Weiterbildung verbessert die Infarkttherapie

McLaren JTT et al.: Sharing and Teaching Electrocardiograms to Minimize Infarction (STEMI): reducing diagnostic time for acute coronary occlusion in the emergency department. J Emerg Med (2021) 48:18-32

McLaren und Kollegen von der Uni Toronto haben 2018-2019 den Effekt einer strukturierten EKG-Weiterbildung auf die Qualität der Infarktversorgung untersucht.

Beginnend mit großen Auftakt-Fortbildungen und fortgeführt mit einem wöchentlichen Audit- und Feedback-Programm wurden dem 80-köpfigen ärztlichen Team der Notaufnahmen an 2 akademischen Lehrkrankenhäusern EKG-Beispiele unnötiger oder verzögerter Herzkatheter-Aktivierungen präsentiert. Die Beispiel-EKG wurden mit Erläuterungen und Literaturverweisen auf einer internen Webseite veröffentlicht.

Verglichen mit dem Jahr vor Einführung dieses Programms konnte die Zeit zwischen EKG-Registrierung und Katheter-Aktivierung von im Median 28,0 Minuten auf 8,0 Minuten verkürzt werden, ohne dass der Anteil unnötiger Aktivierungen anstieg (28,2 % vs. 20,0 % ohne ursächliche Läsionen beim Katheter).
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ST-Hebung: Infarkt oder Aneurysma?

Abnorme ST-Hebungen in den Brustwandableitungen können Ausdruck eines akuten STEMI oder eines alten VW-Aneurysmas sein und manchmal ist es nicht gerade trivial, das zu differenzieren. Das beste Unterscheidungsmerkmal ist die Höhe der T-Welle in Relation zum QRS-Komplex. Einfache Formeln aus der Arbeitsgruppe um Stephen W. Smith können bei der Ersteinschätzung hilfreich sein, aus seinem großartigen ECG-Blog stammen auch die folgenden EKG-Beispiele:
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ST-Hebung aVR

Über ST-Hebungen in Ableitung aVR ist in den letzten 20 Jahren viel und kontrovers diskutiert worden. Zeitweise wurde schon eine isolierte ST-Hebung in aVR bei Infarktverdacht als gewichtiges Indiz für eine kritische Läsion am li. Hauptstamm (LCM) gewertet und deshalb eine sofortige Koronarangiografie gefordert. Heute gilt die Kombination von ST-Hebung in aVR mit ST-Senkungen >0.1 mV in ≥6 Ableitungen als prognostisch ungünstiges EKG-Muster, das zumindest in den europäischen Leitlinien als STEMI-Äquivalent bewertet und mit einer Ic-Empfehlung zur unverzüglichen invasiven Strategie versehen ist. Diese Empfehlung ist allerdings nicht unumstritten und wird durch neuere Studiendaten auch nicht unbedingt gestützt.
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de Winter EKG

Der Ausdruck De Winter EKG (auch de Winter Pattern, de Winter T-Wellen oder De-Winter-Muster) beschreibt einen seltenen EKG-Befund, der bei Patienten mit akuten Brustschmerzen (fast) pathognomonisch für einen Akutverschluss des RIVA ist. Obgleich er die Leitlinien-Kriterien für einen STEMI nicht erfüllt, sollte er wie ein solcher behandelt werden (STEMI-Äquivalent), also unverzüglich zur Koronarangiografie führen.
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South African Flag Sign

Das South African Flag Sign ist eine Eselsbrücke zur Beschreibung der typischen EKG-Veränderungen bei hochlateralem Myokardinfarkt, typischerweise bei Verschluss des 1. Diagonalastes (RD1) oder R. Intermedius (RIM bzw. Marginalast).

Beispiel-EKG
ST-Hebungen in Abl. I, aVL und V2; ST-Senkung in Abl. III
Beispiel-EKG
Die grünen Streifen der Flagge markieren Abl. I, III, aVL und V2

Das South African Flag Sign stellt sich naturgemäß nur ein, wenn die 12 Standardableitungen wie hier in 3 Zeilen a‘ 4 Spalten dargestellt sind. Der Ausdruck wurde 2015 erstmals von Laszlo Littmann in seinem Kommentar zu einem Case Report mit entsprechenden EKG-Beispielen verwendet. (Littmann 2015 und Durant E et al. 2015).

Aslanger-Pattern

Das Aslanger-Pattern ist ein EKG-Phänomen, das bei akutem Thoraxschmerz auf einen akuten Verschluss von RCA oder Cx bei Mehrgefäß-KHK deutet. Obgleich es sich dann formal um einen NSTEMI handelt, ist die Prognose mit inferioren STEMI vergleichbar. Deshalb wird üblicherweise eine rasche Koronarintervention angestrebt.

Beispiel-EKG
Quelle: Smith S auf Dr. Smith's ECG Blog

Das Muster ist so definiert (Aslanger 2020):

  1. ST-Hebung in Abl. III, nicht aber in den anderen inferioren Ableitungen
  2. ST-Senkung in mindestens einer der Ableitungen V4-6 (aber nicht in V2) mit positiver oder terminal positiver T-Welle
  3. ST-Strecke in Ableitung V1 höher als in V2

In der o.g. Erstpublikation war das Aslanger-Pattern bei 6.3 % (61/966) der NSTEMI-Patienten und 0.5 % (5/1000) der Patienten ohne Infarkt nachweisbar. Infarktpatienten mit Aslanger-Pattern hatten im Vgl. zu anderen NSTEMI-Patienten eine höhere Troponin-Ausschüttung über 24 Std. und eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine culprit lesion bei der Coro. Andererseits hatten sie eine ähnlich hohe Mortalität im Krankenhaus (5 % vs. 4 %; P = 0.675) und nach einem Jahr (11 % vs. 8 %; P = 0.311) wie Patienten mit Hinterwand-STEMI.

Bogossian-Formel

Die Bogossian-Formel ist eine alltagstaugliche Methode, die mutmaßlich wahre Dauer der Repolarisation im EKG mit verbreiterten Kammerkomplexen zu ermitteln. Sie eignet sich sowohl für Linksschenkelblock (LSB) als auch Schrittmacher-EKG oder Rechtsschenkelblock (RSB).

Die Formel hat Bogossian 2014 erstmals für Patienten mit LSB vorgestellt (Bogossian et al. 2014), später wurde auch die Anwendung bei Schrittmacherpatienten (Weipert KF et al. 2018) und anderen Blockbildern (Bogossian et al. 2020) beschrieben.

Die Formel:

Beispiel-EKG
QTm = modifizierte QT-Zeit nach Bogossian
QTm = QTb – 48.5 % * QRSb

und vereinfacht

QTm = QTb – 50 % * QRSb

QTm = modifizierte QT-Zeit
QTb = gemessene QT-Zeit
QRSb = gemessene QRS-Breite

QT-Zeit und QRS-Breite können (natürlich nach visueller Überprüfung 🙂 ) dem EKG-Auswertealgorithmus entnommen oder per EKG-Lineal gemessen werden. Mit ausreichender Genauigkeit kann QTm auch direkt vermessen werden: von QRS-Mitte bis zum Ende der T-Welle (s. Abb.).

Genau wie die QT-Zeit bei normalen QRS muss auch die so modifizierte QT-Zeit frequenzkorrigiert werden, sofern die Frequenz nennenswert von 60 min-1 abweicht. Für die nach Bogossian modifizierte QT sollte dies möglichst mit der Hodges-Formel (nicht Bazett oder Fridericia) erfolgen. (Erkapic D et al. 2020)

Hintergrund

Schon sehr lange ist klar, dass die gemessene QT-Zeit bei Schenkelblockbildern die tatsächliche Dauer der Repolarisation übersteigt. Bei LSB, RSB und rechtsventrikulärer Schrittmacher-Stimulation sind die sonst üblichen Grenzwerte für die QT-Zeit deshalb nicht geeignet, die Arrhythmiegefährdung betroffener Patienten abzuschätzen. Dies gilt sowohl für die Aufdeckung von QT-Syndromen als auch für die Überwachung der Therapie mit QT-verlängernden Medikamenten wie beispielsweise Amiodaron.

In der Vergangenheit wurden diverse Methoden zur Berechnung der vermeintlich „wahren“ QT-Zeit vorgeschlagen. Tablot et al. haben 1973 einfach bei LSB QT-60 ms bzw. QTc-70 ms und bei RSB QT-30 ms bzw. QTc-40 ms verwandt. Die US-Fachgesellschaften haben 2009 empfohlen, entweder das JT-Intervall (QT-Zeit – QRS-Dauer) mit dann entsprechend anderen Normwerten oder die QT-adjustment formula zu verwenden:

QTm = QT – 155 x (60/Herzfrequenz – 1) – 0.93 x (QRS – 139) + k
(k = -22 ms für Männer und -34 ms für Frauen)

Für die schon frequenzkorrigierte QTm nach dieser Formel liegt der obere 2%- bzw. 5%- Grenzwert bei 460 bzw. 450 ms, weitgehend identisch zur QTc bei schlanken QRS-Komplexen. (AHA/ACCF/HRS Recommendations 2009 und Rautaharju PM et al. 2004)

Frührepolarisation

Frührepolarisation (Early Repolarization Pattern) ist ein besonders bei jungen Männern häufiges EKG-Phänomen. Der Begriff ist nicht einheitlich definiert, wird aber meist für ST-Hebungen mit J-Wellen am Ende des QRS-Komplexes besonders in den inferolateralen Ableitungen verwandt.

Ich glaube, es gibt wenige Befunde in der Kardiologie, die so mehrdeutig sind wie ST-Hebungen im EKG. Das Spektrum möglicher Ursachen reicht von der gutartigen Normvariante bis hin zum ST-Hebungsinfarkt (STEMI). Interpretationshilfen bei Patienten mit Brustschmerzen habe ich unter ST-Hebung V2/V3 und Terminal QRS Distortion schon mal beschrieben. Dieser Beitrag hingegen soll für einen anderen Aspekt von ST-Hebungen sensibilisieren: Das mögliche Risiko für den plötzlichen Herztod.

Fiktives Beipiel

Kommt ein 32-jähriger Mann in die Notaufnahme, weil er etwa 5 Min. nach einem Fußballspiel im Sitzen für 2-3 Sekunden Palpitationen spürte und dann synkopiert ist. Er bietet dieses EKG:

Beispiel-EKG
Quelle: Smith S auf Dr. Smith's ECG Blog

Wir sehen ST-Hebungen in mehreren Ableitungen, konkavbogig in V3-6, mit einer J-Welle in V4-6 und „slurring“ am J-Punkt in II, III und aVF, keine reziproken ST-Senkungen, keine PQ-Senkung und keine QT-Verlängerung. Wie interpretieren wir das EKG in diesem Zusammenhang und wie gehen wir vor?

Frührepolarisation im Kontext von Synkope oder Präsynkope

RedFlagDamit sind wir bei der zentralen Aussage dieser Abhandlung: Ein Frührepolarisations-EKG bei Patienten mit Synkope oder Präsynkope ist eine der Red Flags in der Notfallmedizin, die nicht übersehen werden sollte. Es ist eines der klinischen Merkmale, das bei der ersten Evaluation eine kardiale Ursache der Synkope nahelegt (ESC-Leitlinie Synkope 2018).

Wenn die Anamnese zudem ein major high risk feature aufweist, so wie hier die Palpitationen vor Eintritt der Synkope, ist eine detaillierte Diagnostik zur Abschätzung des Arrhythmie-Risikos erforderlich.

Systematik und Nomenklatur

Die Systematik der Frührepolarisation ist noch nicht vereinheitlicht. Das Phänomen ist zwar nicht neu und nicht selten, hat aber einige Jahrzehnte als „benigne Frührepolarisation“ oder „Junge-Männer-EKG“ eher wenig Beachtung gefunden. Erst Ende der 2000er-Jahre wurde zunehmend klar, dass in Einzelfällen ein ernstzunehmendes Risiko für einen plötzlichen Herztod besteht. Seither nehmen die Bemühungen um eine einheitliche Nomenklatur merklich zu, bislang noch nicht mit abschließendem Erfolg.

Noch haben wir es mit zwei unterschiedlichen, jeweils aber hochrangig publizierten Definitionen von Frührepolarisation zu tun: Einerseits und häufiger zu Grunde gelegt 2015 von Macfarlane und andererseits 2016 von Patton als Scientific Statement der AHA.

J-Wellen
Jo = J onset
Jp = J peak
Jt = J termination
Definition nach MacFarlane

  • Notching (vollständig oberhalb der Nulllinie) oder Slurring (Beginn oberhalb der Nulllinie) am absteigenden Schenkel einer prominenten R-Zacke und
  • Jp ≥0.1 mV in mindestens 2 benachbarten Ableitungen außer V1-3 und
  • QRS-Breite <120 ms.

Definition nach Patton
Early Repolarization ist ein Oberbegriff für

  • ST-Hebung in Abwesenheit von Brustschmerz oder
  • Slurring oder
  • Notching am terminalen QRS-Komplex.

Klinische Bedeutung

J-Wellen
Quelle: Matta et al., Acta Cardiologica 2019
Im klinischen Alltag ist die Begriffsunschärfe zum Glück unbedeutend, weil Frührepolarisation als reines EKG-Phänomen (Early Repolarization Pattern oder ERP) keine Konsequenz erfordert. Selbst nach der strengeren MacFarlane-Definition ist Frührepolarisation insbesondere bei jungen Männern häufig. Mit zunehmendem Alter wird sie interessanterweise bei Männer seltener und bei Frauen häufiger, ab dem 55. Lj. ist kein signifikanter Geschlechterunterschied mehr vorhanden.

Sehr wohl Konsequenzen hat die Frührepolarisation allerdings nach einem überlebten plötzlichen Herztod oder bei anhaltenden VT. Dann sprechen wir vom Early Repolarization Syndrome oder ERS. Es wird zu den J-Wellen-Erkrankungen gerechnet, ähnelt dem Brugada-Syndrom, ist vermutlich genetisch determiniert und wahrscheinlich eine Ionenkanal-Anomalie. Hier ist dann die Implantation eines ICD empfohlen (ESC 2015 und AHA/ACC/HRS 2017).

Schwierig ist die Einschätzung von Patienten wie in unserem Beispiel, wenn Hinweise auf gravierende Rhythmusstörungen vorliegen, aber weder Kammerflimmern noch anhaltende VT dokumentiert sind. Bei bestimmten Risiko-Konstellationen (Synkope + Blutsverwandter mit ERS, prominente J-Wellen oder horizontal/deszendierende ST-Strecke + Blutsverwandter mit plötzlichem Herztod in jungen Jahren) kann eine ICD-Implantation erwogen werden (IIb-Indikation), bei allen anderen sollte die Synkopen-Ätiologie mit allen Mitteln aufgeklärt werden (Event-Recorder, Belastungs- und/oder Ajmalintest etc.).