Die Lewis-Ableitung ist ein hilfreicher Trick, um P-Wellen im EKG besser sichtbar zu machen. So gelingt die Erkennung einer AV-Dissoziation bei Breitkomplextachykardien häufiger als im Standard-EKG. Und auch bei Schmalkomplextachykardien kann das manchmal hilfreich sein.
Die technische Durchführung ist einfach: Die Elektroden für den li. und re. Arm (rot und gelb) werden im 2. und 4. ICR re. parasternal angebracht. Ableitung I stellt jetzt die Lewis-Ableitung dar und sollte natürlich auch so beschriftet werden.
Abgesehen von dieser heute gebräuchlichsten Technik gibt es in der Literatur noch eine Reihe von Varianten, dazu später mehr.
Geschichte
Benannt ist die Ableitung nach einem der EKG-Pioniere, dem britischen Kardiologen Sir Thomas Lewis. Der hatte 1913 in seinem EKG-Standardwerk Clinical Electrocardiography zusätzliche Ableitungen beschrieben, weil Vorhofflimmern in den damals gebräuchlichen Ableitungen I-III (aVR-aVF und V1-6 kamen erst >20 Jahre später ins Spiel) häufig nicht gut zu erkennen war. Er positionierte 6 zusätzliche Elektroden auf der Brustwand und zeigte, dass elektrische Vorhofaktivität in bipolaren rechtsparasternalen Ableitungen (1 und 2 in den Abb.) besonders gut zur Darstellung kam (Lewis T 1913).
Das Lewis-Revival
Viele Jahrzehnte fristeten die Lewis-Ableitungen ein Schattendasein, Erwähnung finden sie weder in den 1938 von AHA und BCS beschlossenen Normierungen der Brustwandableitungen (Barnes AR et al. 1938) noch in der erstmals 1954 publizierten Standardisierung der bis heute gebräuchlichen 12 Ableitungen (Wilson FN et al. 1954).
Fast 100 Jahre nach Erstbeschreibung sorgte eine Fallbeschreibung aus der Wellens-Arbeitsgruppe in Circulation für ein spätes Comeback: Eine Breitkomplextachykardie konnte mit Hilfe der zusätzlich gefertigten Lewis-Ableitung und der dort evidenten AV-Dissoziation elegant als ventrikuläre Tachykardie identifiziert werden (Bakker ALM et al. 2009). Seither erfreut sich die Lewis-Ableitung stetig wachsenden Interesses (vgl. u. a. Rodrigues de Holanda-Miranda W et al. 2012, Mizuno A et al. 2014, Vereckei A 2014). Schnell hat sie sich auch in der Notfallmedizin bekannt gemacht und gehört dort mittlerweile zum Standardrepertoire.
Die Sache mit der Elektrodenposition
Im Laufe der Zeit haben sich die ehemals 5 Lewis-Ableitungen (Abb. li.) auf wundersame Weise gewandelt, die Original-Ableitungen verwendet heute wohl niemand mehr. Am gebräuchlichsten und auch am besten validiert ist die eingangs genannte und auch im Circulation-Paper von 2009 beschriebene Modifikation mit einer zusätzlichen bipolaren Ableitung vom 2. zum 4. ICR re.-parasternal (Abb. Mitte). Sie ist durch Umpositionierung der roten und gelben Arm-Elektroden schnell herzustellen und zumindest meiner Kenntnis nach auch als Einzige hinsichtlich besserer P-Wellen-Ortung validiert: Bei 47 Patienten mit simulierter VT (Ventrikelstimulation im EP-Labor) wurde die Art der VA-Überleitung im Lewis-Kanal-EKG bei 75 %, im Standard-EKG bei 62 % der Patienten korrekt diagnostiziert (p=0.045). Eine VA-Dissoziation wurde signifikant häufiger (71 % vs. 49 %; p=0.014) im Lewis-Kanal-EKG korrekt erkannt (Huemer M et al. 2016).
Vergleichbar scheint eine etwas anders modifizierte Lewis-Ableitung vom Manubrium sterni zum 5. ICR re. parasternal zu sein (Abb. re.). Darüber hinaus werden in einigen Online-Blogs, -Foren und -Lexika weitere Elektrodenpositionen und sich damit ergebende Ableitungen beschrieben, die weder Lewis selbst noch seine Wieder-Entdecker aus der Wellens-Arbeitsgruppe ins Spiel gebracht haben. Einen Eindruck davon verschafft die einschlägige Bildersuche bei google. Am häufigsten wird eine zusätzliche Elektrode am re. Rippenbogen beworben, die auf den US-Kardiologen Marriott zurückgehen soll, deren Sinn sich mir bislang aber nicht erschlossen hat.
Da es sich aber sowieso um nicht standardisierte Ableitungen handelt, ist die Frage vorerst nur von akademischem Interesse und in meinen Augen gilt: Wer P-Wellen sieht, hat gewonnen.